Nele* zwingt sich zu einem Lächeln. Nur so lange, bis sie den roten Button mit der Aufschrift „Meeting verlassen“ klickt. Danach bleibt sie noch zwei lange Minuten mit starrer Miene vor ihrem Laptop sitzen.  Wo sich das Fenster der Videokonferenz mit ihren KlassenkameradInnen schloss, ist nun ihr Desktophintergrund zu sehen: Nele und ihre beste Freundin an Neles 16. Geburtstag. Ausgelassen, leicht, das Lächeln nicht gespielt. Aufnahmen aus Zeiten vor der Corona-Pandemie, in denen alles noch „normal“ war. Ihren 18. Geburtstag wird Nele mit ihren Eltern feiern, im kleinen Kreis.

Corona und die Psyche

Seit 2020 ist die psychische Belastung von Kindern und Jugendlichen wie Nele deutlich gestiegen. Etwa ein Drittel von ihnen fühlen sich in ihrer Lebensqualität eingeschränkt und leiden unter Angst oder Depressionen. Auch psychosomatische Beschwerden wie Kopf- oder Bauchschmerzen treten häufiger auf. Kinder und Jugendliche berichten über mehr Streit in den Familien, schulische Probleme und ein schlechtes Verhältnis zu ihren Freunden. Auch viele Eltern und junge Erwachsene fühlen sich durch die Pandemie stark belastet und zeigen vermehrt depressive Symptome. Grund dafür sind unter anderem soziale Isolation und Einsamkeit.

Dieses Bild zeichnen die Ergebnisse der COPSY-Studie von Prof. Dr. Ravens-Sieberer. Von Mai bis Juni 2020 wurden mehr als 1.000 11-17-jährige Kinder und Jugendliche sowie 1.500 Eltern von 7-17-Jährigen befragt. Von Dezember 2020 bis Januar 2021 sowie von September bis Oktober 2021 wurden Folgebefragungen durchgeführt. Nach zweimaliger Verschlechterung der psychischen Belastung konnte bei der zweiten Folgebefragung erstmals eine leichte Verbesserung festgestellt werden – so die gute Nachricht. Dies sei vor allem auf weniger Kontaktbeschränkungen, offene Schulen sowie Sport- und Freizeitangebote zurückzuführen (Ravens-Sieberer et al., 2022). 

Die Bedeutung von persönlichem Kontakt

Persönlicher Kontakt ist laut den Studienergebnissen wichtig für unsere psychische Gesundheit. In Zeiten der Corona-Pandemie nimmt die Einsamkeit aufgrund der sozialen Isolation zu. Der Kontakt über WhatsApp, Instagram und Videokonferenzsysteme scheint den persönlichen Austausch nicht ersetzen zu können – wieso ist das so?

Ob wir uns einsam fühlen, ist davon abhängig, wie wir die Qualität unserer Verbindungen zu anderen Menschen einschätzen (Classen, 2022). Wir können also ein Gefühl von Einsamkeit verspüren, obwohl wir tagtäglich digital miteinander verbunden sind. Wichtige Bedürfnisse, wie gegenseitige Unterstützung, intellektueller Austausch oder gemeinsam verfolgte Ziele, setzen voraus, dass wir in Kontakt mit anderen treten. Menschen, die Ängste und Sorgen haben oder die bereits vor den Kontaktbeschränkungen wenig Kontakte haben, leiden mehr unter den Auflagen. Sie wissen nicht, wie sie ihre Zeit füllen sollen oder sich ablenken können und geraten unter Umständen tiefer in die soziale Isolation (Will, 2020).

Soziale Isolation existiert nicht erst seit Covid 19 – Studien untersuchten Auswirkungen von früheren Pandemien wie die der SARS-Epidemie 2003 in Asien. Die Ergebnisse zeigen, dass die Menschen häufiger an Symptomen der Angst, Schlaflosigkeit und allgemeinen Stresssymptomen litten (Classen, 2022).

Wie digitale Kommunikation unser Sozialverhalten beeinflusst

Durch die permanente digitale Vernetzung könnten Menschen sich voneinander entfremden. Was schon vor der Corona-Pandemie ein Problem war, könnte sich jetzt noch verstärken:  Kommunikative Fähigkeiten gehen verloren und wir verlernen, ein echtes Gespräch zu führen. Ständig online und erreichbar zu sein, erfordert außerdem schnelle Reaktionen. Das Gehirn wird so umprogrammiert, dass langfristige Ziele und Wünsche im Leben aus dem Fokus geraten. Auch die Selbstachtsamkeit sowie Aufmerksamkeit für andere könnten verloren gehen. Gerade für Heranwachsende ist das Erlernen von sozialen Fähigkeiten wichtig (Hübner, 2018). 

Die amerikanische Soziologin Sherry Turkle findet, dass Social Media einsam macht. Dort wäre viel Platz für oberflächliche Beziehungen, da unangenehme Gespräche ignoriert oder aufgeschoben werden können. Fähigkeiten, wie ruhig dazusitzen, zuzuhören und zu diskutieren würden verloren gehen. An dieser Stelle möchten wir sie gerne zitieren: „Menschliche Beziehungen sind reichhaltig, chaotisch und anspruchsvoll. Und wir bereinigen sie mit Technologie. Texting, E-Mail, Posting – all diese Dinge ermöglichen es uns, uns so zu präsentieren, wie wir sein wollen. Wir können es bearbeiten, und das bedeutet, dass wir es löschen können, und das bedeutet, dass wir es retuschieren können, das Gesicht, die Stimme, das Fleisch, den Körper – nicht zu wenig, nicht zu viel, genau richtig.“ (Turkle, 2012)

Digitale Kommunikation kann persönlichen Kontakt also nicht ersetzen – sie ist in Zeiten, wie wir sie jetzt erlebt haben, aber eine sichere Alternative. Wichtig ist ein reflektierter Umgang mit der Art und Weise, wie wir (digital) miteinander kommunizieren. Wie digitale Kommunikation in verschiedenen Lebenslagen während der Corona-Lockdowns aussah, erfährt ihr in unserem Beitrag “Bis später in Zoom” –  Digitale Kommunikation in verschiedenen Lebenslagen”.

*Name von der Redaktion geändert


Quellen:

Classen, R. (2022). Corona und die Folgen sozialer Isolation. Psychatrie-Dienste Süd. https://psych.ch/aktuelles/corona-und-die-folgen-sozialer-isolation

Hübner, S. (2018, 30. Mai). Entfremdet uns die Digitalisierung von uns selbst? Sabine Hübner. https://sabinehuebner.de/service-blog/entfremdet-uns-die-digitalisierung-von-uns-selbst/

Ravens-Sieberer et al. (2022). The mental health and health-related behavior of children and parents during the COVID-19 pandemic: findings of the longitudinal COPSY study. Dtsch Arztebl Int 2022; 119. DOI: 10.3238/arztebl.m2022.0173

Turkle, S. (2012, 3. April). Sherry Turkle: Verbunden und doch allein? [Video]. TED Talks. https://www.ted.com/talks/sherry_turkle_connected_but_alone?language=de

No responses yet

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert